Psychische Probleme durch Meditation?

Führen Meditationscamps und Retreats zu psychischen Problemen bei den Teilnehmern?
Laut einer amerikanischen Studie 'ja'.
Ich meine 'ja' und 'nein'.
Psychische Probleme durch Meditation?

Nach einer amerikanischen Studie sollen Meditationscamps psychische Probleme wie Panikattacken, Wahnvorstellungen und schizophrene Schübe verursachen. Hier 5 Punkte, die zu bedenken sind

Frage:
Amerikanische Forschungen von Dr. Willoughby Britton haben gezeigt, dass allein in den USA inzwischen über hundert Fälle dokumentiert wurden, bei denen Menschen sogenannte Achtsamkeitscamps, die eigentlich Ruhe und Einkehr versprechen, mit Wahnvorstellungen, schizophrenen Schüben und Panikattacken verlassen haben. Kannst du etwas dazu sagen?

Samarpan antwortet:
In meiner langjährigen Erfahrung als Meditationsleiterin und auch Teilnehmerin sind während Retreats und Meditationscamps keine Teilnehmer*innen mit psychischen Problemen, Wahnvorstellungen, Panikattacken vorgekommen.

Nichtsdestotrotz halte ich es für denkbar, dass psychische Probleme während intensiver Meditationscamps auftreten können.

Im Folgenden möchte ich die Gründe aufzeigen, die ich für psychische Überreaktionen in Camps verantwortlich mache – und warum mir diese bisher nicht begegnet sind.

5 Gründe warum psychische Probleme in Meditationscamps und Retreats auftreten können

» Meditierende sind empfindsame Menschen

Es ist natürlich: Menschen, die einen Hang zu Meditation verspüren, sind empfindsam – sonst würden sie sich nicht für Meditation interessieren!

Mit der Sensitivität geht auch nicht selten emotionale Instabilität einher. Gerade, weil sie empfindsam sind, leiden sie mehr als andere unter schwierigen Situationen. Mit Meditation winkt die paradiesische Hoffnung, alle Schwierigkeiten verlassen zu können und stattdessen im ‘glückseligen Nichts‘ verschwinden zu können. 

Empfindsamkeit braucht Stabilität und Integration

Meditierende sind oft mit einer empfindsamen Psyche ausgestattet, was ein Segen, aber auch ein Fluch sein kann. Man muss lernen, das bspw. in Meditationscamps Erfahrene wieder loszulassen und Meditation in kleinen, langsamen Schritten in den Alltag zu integrieren. Erfahrungen machen ist das eine, sie zu verarbeiten das andere.

Meditierende müssen lernen, ihre Psyche zu stabilisieren – was für instabile Menschen besonders schwierig ist.

Meditation ist keine Therapie

Labile Menschen (und auch viele Meditations- und Achtsamkeitslehrer*innen) neigen dazu, Meditation mit Therapie zu verwechseln (das wird auch in den Medien nicht auseinander gehalten). Durch Meditation soll alles geheilt werden: der Stress, die Krankheit, die Beziehung, die Empfindlichkeit in der unerbittlichen Welt…

Meditation ist jedoch keine Therapie und wenn die erhoffte Heilung nicht eintritt, denken die Meditierenden, sie müssten einfach noch mehr meditieren – was die psychischen Schwierigkeiten nur verstärkt, die Empfindlichkeit wird noch größer und dadurch auch der Stress…

Fazit:

  • Meditierende sind empfindsam, daher ist es auch natürlich, dass in dieser Gruppe häufiger Menschen mit psychischer Labilität zu finden sind 
  • Bei Meditierenden und bei Lehrer*innen fehlt oft das Verständnis, was Meditation ist und was sie bewirkt. Meditation ist keine Therapie, sie heilt eine verwundete Psyche – wenn überhaupt – nur über viele Jahre hinweg.
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» Die Auflösung des Ich-Gefühls ist herausfordernd

Wenn jemand eine psychische Belastungsstörung hat, wie bspw. ein schweres Trauma, dann kann Meditation dieses verstärken. Meditation löst die Ichstruktur auf – was für jeden Meditierenden schwierig ist!

Für jemanden, dessen Ichgefühl verwundet und traumatisiert ist, kann eine zu schnelle Ich-Auflösung – wie sie in intensiven Meditationskursen geschehen kann – zu Überforderung führen.

Das große Nichts muss man erstmal aushalten können

Meditation ist Leere, das Nichts, der Urgrund… das klingt als wäre es symbolisch gemeint. Das ist es aber nicht, es ist Realität, so paradox das auch klingen mag.

Um diese Zustände der Meditation verarbeiten und in sein Leben integrieren zu können, braucht es eine Stabilität jenseits des Ichs, die für jemanden mit Trauma nur schwer zu erfahren ist. 

Fazit:

  • Meditation ist nur für psychisch gesunde bzw. psychisch normale Menschen
  • Wenn ein Trauma vorliegt, dann sollte Meditation nur in sehr geringen Dosen und unter Anleitung einer erfahrenen Meditationslehrer*in stattfinden
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» Traditionelle Methoden, die nicht für diese Zeit gemacht sind

Ein weiterer Grund für die psychische Überforderung von Meditierenden während Retreats und Camps sind Meditationsmethoden, die das menschliche ‘Körper-Geist-System’ überanstrengen. Ich denke da an intensive Retreats mit stillen Meditationen, im Besonderen mit der Vipassana Meditation (Atemmeditation) oder auch mit Zazen (stilles Sitzen mit geöffneten oder halb geschlossenen Augen).

Beides sind traditionelle, überlieferte Methoden, die auf einer Klosterstruktur beruhen und aus einer Zeit stammen, in der die Menschen mit Ochsenkarren durch die Welt fuhren. Da gab es nicht viel Aufregung und Körper, Herz und Geist waren entspannt und ruhig.

Traditionelle Meditationsretreats sind für Fortgeschrittene der Meditation

Heutzutage, in einer modernen und schnellen Welt, werden andere Methoden zur Meditation als damals benötigt – besonders für Anfänger. Da sind Aktive OSHO Meditationstechniken zu empfehlen, die über Bewegung den Körper beweglich halten. Sie lösen die Ichstruktur einerseits und stabilisieren den Körper, das Herz und den Verstand andererseits.  

10 Tage bewegungslos sitzen – eine Folter!

Ein 10-tägiger Vipassana-Retreat ohne langjährige Meditationserfahrung… über Stunden, Tage still sitzen zu müssen, bewegungslos und ohne Ausdruck, das ist Folter. Wirklich! Das belastet die Psyche immens.

Es ist also kein Wunder, dass alle möglichen Verrücktheiten beim Meditierenden entstehen, um dieser ‘Stupor-Situation’ zu entfliehen. Wahnvorstellungen, schizophrene Schübe und Panikattacken bringen Bewegung mit sich, vielleicht ein natürlicher Reflex, der Starre zu entgehen?

Fazit:

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» Meditationslehrer*innen mit wenig eigener Erfahrung

Enthusiastische, unerfahrene Lehrer*innen unterstützen psychische Probleme beim Meditieren während Meditationscamps und auch sonst auf ganz unbewusste Art. Die Absichten sind gut, das Wissen um die ungeheure Kraft von Meditation gering.

Achtsamkeitslehrer*innen absolvieren in der Regel MBSR-Ausbildungen, haben selbst aber manchmal nur wenig Meditationserfahrung. Um andere sicher durch Schwierigkeiten zu führen, braucht es viele Jahre eigenes Studium mit Meditation.

Erfahrungen aus dem Osten lassen sich nur eingeschränkt übertragen

Meditations-Erfahrungen werden auch oft in Indien oder anderen östlichen Ländern gemacht. Die Meditationslehrer*innen nehmen an diversen Retreats mit diversen Gurus teil und möchten nun die Erkenntnisse an Meditierende im Westen weitergeben.

In Indien ist die Situation im Hinblick auf Spiritualität ganz anders als bei uns. Die Menschen sind mit spirituellen Erfahrungen vertraut, sie wachsen damit auf. Das Nichts, Nirvana, die ultimative Befreiung…. davon kann jeder Riksha-Fahrer erzählen. Nicht, dass er wirklich wüsste, wovon er spricht…

Im Osten wurde viel Wissen über Spiritualität gesammelt, doch nutzt all dieses Wissen weder dir selbst noch deinen Schülern, wenn es nicht dein eigenes ist.

Ein Meister sein und Schüler*innen haben – der Wunsch nach Macht

Weise Menschen werden im Osten verehrt, ja sogar angebetet! Dieses Meister-Schüler-Phänomen mag unerfahrene Lehrer*innen ebenfalls dazu motivieren, Retreats anzubieten, die so manchen überfordern. Wer möchte nicht gerne ein Meister sein und seine Fähigkeiten beweisen?

Ich weiß, was du tun musst, denn ich kenne mich aus – das ist der Tenor eines unerfahrenen Lehrers, dessen Wissen auf jahrtausend-alter, traditioneller Spiritualität beruht – und dort steckengeblieben ist. 

Was unerfahrene Lehrer übersehen

  • Der Lebenstil der Menschen hat sich geändert (s.o.) und damit müssten sich auch die Meditations-Methoden in den Kursen verwandeln. Unerfahrene Lehrer übernehmen das, was vor 5.000 Jahren richtig war und haben kein wirkliches Verständnis für die geänderte, psychisch wenig belastbare Situation der meisten Menschen im Westen.

  • Meditation kann nicht weitergegeben werden 
    Obwohl es anfangs hilfreich sein kann, sich an jemandem Weisen zu orientieren, so muss sich doch jeder Meditierende den Zustand von Meditation selbst erarbeiten. Und das dauert manchmal viele viele Jahre und ist nicht über ein Intensivwochenende zu erreichen!

    Der Verstand, der Körper und das Herz des Teilnehmenden (und des Lehrers) lernen langsam und in kleinen Schritten – und das vor allem im Alltag und nicht durch intensive Retreats. 

  • Das spirituelle Ego des Lehrers, der Lehrerin überstellt sich dem langsamen und eigenständigen Wachstum des Teilnehmenden.

    Für bestimmte Lehrer (oft Männer) ist es verführerisch, sich eine Schar Follower zu erschaffen und diese in Achtsamkeits- und Meditationskursen bis zum Limit zu treiben, um ihnen noch größere spirituelle Erkenntnisse zu ermöglichen… und damit die Abhängigkeit zum Anführer, dem unerfahrenen Lehrer, zu vergrößern.

    Ein unerfahrener Lehrer sieht sich im Zentrum der Entwicklung eines Schülers und verhindert so dessen Selbstständigkeit – eine labile Psyche auf der Suche nach Halt ist damit besonders zu beeindrucken.

    Das Ergebnis:
    Der Meditierende fühlt sich noch weniger, er oder sie lernen, dem Lehrer, der Lehrerin und nicht sich selbst zu vertrauen – und werden so noch unsicherer sich selbst gegenüber.

Fazit:

  • Psychisch labile Menschen haben das Bedürfnis, bei jemandem Halt zu suchen, was unerfahrene Lehrer*innen über Versprechungen unterstützen
  • Unerfahrene Lehrer*innen treiben aus eigener Befriedigung heraus labile Meditierende bis zum Limitund darüber hinaus
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» Selbstverbesserung als Antreiber bis zum Zusammenbruch

Oft fühlen sich Menschen mit geringem Selbstwertgefühl zu Meditation und auch zu intensiver Meditation in Camps oder Retreats hingezogen. Wenn sich erste spirituelle Erfahrungen einstellen, dann möchten sie mehr davon, weil sie denken, dadurch endlich in der normalen Welt anerkannt zu werden. Das gilt sowohl für Meditationslehrer*innen als auch für Schüler*innen. 

Sie denken also, sie müssten noch mehr, noch intensiver, noch länger meditieren, um endlich der strahlende Typ zu werden, der sie gerne wären. Das ist eine unbewusste Sehnsucht, die wohl jeder/jede in sich trägt – es ist die Sehnsucht nach Verwandlung.

Diese natürliche, und für den Verwandlungsprozess auch hilfreiche Sehnsucht wird von manchen Persönlichkeiten bis zur psychischen Erschöpfung selbst unterstützt – ohne wahrzunehmen, wann der Körper und Geist überfordert sind und eine Pause brauchen.

Fazit:

  • Die Tendenz der Selbstoptimierung führt zu Überforderung der Psyche
  • Das ‚Paradies‘ erfahren zu wollen, ist gerade für psychisch labile Menschen der Grund für Überforderung in der Meditation
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Was Millionen Menschen
durch Meditation erleben

Meditation – das höchste Glück

Nichtsdestotrotz möchte ich darauf hinweisen, dass es nichts Erfüllenderes und Wertvolleres als Meditation gibt. Ich führe mittlerweile ein harmonisches, kreatives, liebevolles und intensives Leben, was mir ohne Meditation nicht möglich gewesen wäre.

Die in der Studie beschriebenen psychischen Überforderungen sind die Ausnahme. Im Vergleich zu den vielen Meditierenden, die von dem Prozess immens profitieren, kommen psychische Überlastung durch Meditation auch während Retreats oder Intensives sehr selten vor.

Es leben die Sensiblen!

All die oben aufgeführten Erfahrungen beziehen sich darauf, dass sich empfindsame Menschen auf den Weg der Meditation begeben. Unter uns Sensitiven gibt es solche, die einen sehr schweren Rucksack tragen – der durch Meditation ganz deutlich sichtbar wird. Das ist eine wirklich schwierige Situation, die manchmal überfordern kann.

Durch Meditation öffnen sich Wunden, die schon lange da sind

Es ist für mich zu hinterfragen, ob die in der Studie beschriebenen Panikattacken, schizophrenen Schübe und Wahnvorstellungen nicht auch ohne Meditationscamps vorgekommen wären. Ohne etwas über die Wissenschaftlichkeit der Arbeit zu wissen, bezweifle ich, dass man Meditation allein für psychische Probleme verantwortlich machen kann.

Meditation unterstützt das, was da ist und durch die empfindsamere Wahrnehmungsfähigkeit plötzlich ganz klar vor Augen ist. Das können emotionale, unverarbeitete Dinge sein, es können aber auch viele zutiefst beglückende Erkenntnisse über das Leben sein.

Meditation ist ein komplexer, paradoxer und auch mystischer Prozess, der nie vollständig zu kontrollieren sein wird – es ist ein Sprung ins Unbekannte… Und das Unbekannte wird die Wissenschaft nie erfassen können.

Fazit:

  • Meditation ist ein empfehlenswerter, langsamer Prozess für jeden Menschen, der ein harmonisches Leben sucht
  • Meditationscamps und Retreats sind nur für psychisch normale Leute unterstützend, Menschen mit Trauma sollten sich weniger intensive Meditationsräume suchen
  • Ein paar Randbedingungen – wie bspw. eine erfahrene Meditationslehrer*in – sind einzuhalten, dann ist ein Meditationsretreat oder -camp unbedenklich
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Ein Beitrag von Samarpan

Meditationslehrerin und
Herausgeberin von FindYourNose

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